Seit Wochen schon grellte einem an der Eingangstür ein groß bedrucktes Blatt in Plastikhülle entgegen: 6.4. Elterabend – Wichtig!!! Auf Nachfragen bei den ErzieherInnen hieß es immer nur, es gehe um die Personalentwicklung. Um die war es in der letzten Zeit schlecht bestellt: Kind3’s Lieblingsbezugsperson Chrissi muß den Kindergarten verlassen, weil eine andere Erzieherin aus der Elternzeit zurückkehrt. Diese andere will nicht mehr Vollzeit arbeiten, sondern nur halb, weshalb anstelle von Chrissi also 2 neue ErzieherInnen anfangen werden. Für die Kinder ist die aus der Elternzeit zurückkehrende neu.
Weil Chrissi nicht bei den Kindern, sondern auch bei vielen Eltern sehr beliebt war, bei ihren KollegInnen aber eher weniger, hatte es schon reichlich böses Blut gegeben.
Des weiteren wird Erzieherin Momo im Mai in Mutterschutz gehen und danach voraussichtlich in Elternzeit, eine NachfolgerIn bzw VertreterIn für sie kann aber zunächst auch nicht mit konkreten Zeitangaben gesucht werden, weil Momo sich noch nicht festlegen muß, wie lange sie wegbleiben wird.
Und der Zivi hört auch auf.
So verwunderte es wenig, daß gestern zu der üblichen Runde aus Eltern und Kindergartenangestellten auch der Chef des Trägervereins und die Supervisorin hinzukamen.
Natürlich kam der Chef zu spät. Er habe sich nicht früher freimachen können. Und er danke für unser Verständnis. Nach einem kurzen Abriß der jüngsten personellen Veränderungen, die aber ja allen bekannt seien, erklärte er seinen Part für erledigt und guckte nur noch großväterlich freundlich, intelligent und verbindlich, eine Spur betroffen, aber doch auch mit der nötigen Prise Optimismus. Während Mecki, die Supervisorin, überhaupt nur da saß und undefiniert guckte. Wie ein gerupftes Huhn, mächtig cool, in Gedanken an die letzte Zigarette (oder die nächste), ein klein wenig gerührt von der eigenen Unentbehrlichkeit, vielleicht.
Dann eröffnete Dirk, der Leiter des Kindergartens, mit langwierigen Worten den Anlaß des Abends. Er selbst ist es, der nun auch noch aufhört, die Segel streicht, aus persönlichen Gründen nicht weitermachen will. Es mache ihn krank, die Mehrfachbelastung als Kindergärtner, Gruppenleiter und Kindergartenleiter.
Das betroffene Schweigen prallte an die mit hübschen Kinderbildchen verzierten Wände und rieselte feinstaubig aber auch sehr klebrig wieder hinunter. Schwitzige Hände, schwielige, um Verständnis bettelnde Blicke von Seiten der Führungskräfte. Langes Schweigen auf Elternseite, daß irgendwann von Vater Jörg gebrochen wird: er finde das aber sehr mutig von Dirk, wie der das so offen vorgebracht habe. Und: das sei ja ganz schön starker Tobak.
In Zahlen: von den 6 MitarbeiterInnen gehen vier und zwei sorgen für die Kontinuität.
Gut 300 Euro zahlen wir für einen Monat Kinderbetreuung für 1 Kind, täglich von theoretisch 8 Uhr bis 15 Uhr. Warum?
Ja. Warum. Kind3 fühlt sich wohl dort, hat Chrissi in ihr Herz geschlossen. Und Kind1 und Kind2 waren auch schon in dieser Anstalt, damals noch mit fast komplett anderem Personal… Damals waren wir begeistert vom Engagement und der Phantasie des Teams. Es gab viele spannende und für alle sehr aufregende Projekte, die viel bewegten, vom spielzeugfreien Kindergarten über das Mittelamerika-Projekt (nach dem Hurricain) bis zum wöchentlichen Schwimmen, das irgendwann gecancelt werden mußte, weil ein Amtsarsch darauf aufmerksam geworden war, daß keine der ErzieherInnen eine Rettungsschwimmerausbildung hatte. Aus ähnlichen Gründen durfte irgendwann auch nicht mehr im Kindergarten gekocht werden, Kinder und Erziehrinnen gemeinsam, eine Gaudi für alle. Aber… –
Solche Erfahrungen prägen.
Aber außer dem genialen Kindergartengelände und der Tatsache, daß wir uns alle dort irgendwie zuhause fühlen, ist nicht wirklich viel übrig.
Was ist nun der bessere Weg: den Veränderungen am bekannten und vertrauten Ort möglichst gelassen und konstruktiv entgegensehen – oder einen wirklich radikalen Schnitt machen und einen neuen Kindergarten suchen?
Es gibt so Tage, Wochen, Phasen, da von überall her der Eindruck weht, daß einfach alles den Bach runtergeht.
Diesen Eindruck, alles geht den Bach runter, hatte ich beim Lesen auch, noch bevor ich bei deinem Schlusssatz angekommen war.
300 Euro ist ja irre viel Geld! Dafür kann man zumindest erwarten, dass das Kind sich auch wohlfühlt. Und genau davon würde ich die Entscheidung abhängig machen. Wann treten denn all diese Personalveränderungen in Kraft? Vielleicht mag das Kind ja die alte, neue Kindergärtnerin. Ich weiß nicht, ob der Wechsel in eine andere Einrichtung so optimal für die Kleine ist, schließlich verliert sie dann nicht nur die Lieblings-Bezugsperson, sondern auch noch Freunde und die vertraute Umgebung.
Aber seltsame Profilneurotiker schwingen das Zepter in dieser Einrichtung, muss ich feststellen. Können diese Herrschaft mit dem Begriff “Wohl des Kindes” eigentlich etwas anfangen? Zwar gehöre ich stets zu den Menschen, die sämliche Verantwortung für den Nachwuchs keinesfalls auf Kindergarten, Schule und Lehrer abgewälzt wissen will, wie es hierzulande bisweilen Tagesordnung ist, aber in diesem Fall kann man sich echt nur an den Kopf fassen. Wie sollen das denn 3- bis 5-Jährige verstehen?
Eine ähnlich bescheuerte Entscheidung, wenn auch nicht personeller Art, wurde seinerzeit in dem städtischen Kindergarten getroffen, in dem meine Tochter “aufbewahrt” wurde (mehr war es wirklich nicht mehr). In ihrem zweiten und letzten Kindergartenjahr wurden die bis dato existierenden drei Gruppen aufgelöst. Im Klartext bedeutete dies, dass die Kinder sich den ganzen Tag im Kindergarten frei bewegen und aussuchen konnten, in welchem Raum und mit welchen anderen Kindern sie spielen wollten. Dass dadurch das Gefühl der Gruppen- und überhaupt Zugehörigkeit verloren ging, störte die verantwortlichen Damen weniger. Sie lobten und priesen ihre tolle Idee, schließlich war es ihnen so möglich, sich die meiste Zeit des Tages im Büro bei Kaffee und Zigaretten aufzuhalten. Das letzte Halbjahr ist meine Tochter kaum noch hingegangen, weil es ihr so gar nicht mehr gefallen hat.