Alles dicht machen?

Ich heiße Ralph. Ich bin kein Schauspieler. Zumindest nicht von Beruf.
Ich habe bereits vorgestern den Schauspieler*innen gedankt, die sich getraut haben uns alle mit ihrer Aktion #allesdichtmachen aus der Reserve zu locken.
Denn ich finde es wichtig, Zweifel an herrschenden Meinungen und den eigenen kritischen Verstand gerade in schwieriger Lage nicht zugunsten von moralischen Glaubenssätzen aufzugeben. Selber denken hält fit. Das verstehen zu viele offenbar nicht.

Der Shitstorm, den die Schauspieler*innen auf Twitter, auf Youtube und in allen anderen möglichen Medien erfahren mussten, macht mich ehrlich gesagt fassungslos und traurig und wütend. Eine Menge Leute, denen ich bislang auf Twitter gefolgt bin und von denen ich eigentlich viel halte, haben sich dem Einprügeln auf die Akteur*innen der Aktion angeschlossen. Der Ton, in dem geschnauzt und gehetzt wird, ist unglaublich schnell völlig aus dem Ruder gelaufen.

Ja, man kann den Initiator*innen und Akteur*innen von #allesdichtmachen vorhalten, sie hätten nicht ausreichend Sorge dafür getragen, dass sie von den Rechten (Corona-Leugnern, Querdenkern etc) für ihre Aktion keinen Beifall bekommen. Aber worauf läuft das denn hinaus? Darf ich keine Kritik mehr äußern bzw ist nun jede Kritik verpönt, die auch von der falschen politischen Seite geäußert und damit vereinnahmt wird? Geht nur noch absolutes Schubladen-Denken?

Ich habe vielmehr den Eindruck, dass unsere politische Streitkultur an einem Tiefpunkt angekommen ist. Wir reden nirgends mehr miteinander, sondern nur noch übereinander. Und das am liebsten auf gehässigste Weise.

Ja, man kann den einen oder anderen Beitrag zu #allesdichtmachen unempathisch, zynisch oder süffisant nennen. Und? Ist das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Darf man, weil durch Corona täglich Menschen sterben, weil um dies zu verhindern andere Menschen seit Monaten am Limit arbeiten und eigentlich nicht mehr können, weil andere Menschen an Einsamkeit oder Perspektivlosigkeit zugrunde gehen, weil Regierungen und Behörden auf allen Ebenen seit über einem Jahr sich zwar bemühen, aber leider zu oft erfolglos und zu oft stümpernd – und sich zu viele dabei nur selbst bereichern – darf man deswegen nur noch ununterbrochen mit betroffener Miene zu jeder neuen Regierungsentscheidung Ja und Amen sagen? Und Satire, Ironie, Sarkasmus, Zynismus ist verboten – bis es uns wieder besser geht?

Aus meiner Sicht ist die Aktion #allesdichtmachen ein voller Erfolg. Sie hilft nicht gegen Corona, ok. Sie hält uns stattdessen einen Spiegel vor und zeigt uns, dass wir an unserer Streitkultur, überhaupt an unserer Kommunikation arbeiten müssen, wenn wir uns nicht irgendwann wegen jeder Kleinigkeit nur noch anschreien wollen. Den Wutbürger als Phänomen hat nicht Corona hervorgebracht, aber er bekommt durch Politik und ‚die Wirtschaft‘ ständig neue Gründe für sein Wütendsein geliefert. Gefundenes Fressen für alle Gruppen auf der rechten Seite, denen das Fischen nur immer leichter gemacht wird – dies jedoch durch die Politik, nicht durch die satirische Auseinandersetzung mit ihr.

Ich habe selbst einige Zeit überlegt, auf welche Seite ich mich in diesem Streit schlage. Die Videos finde ich nicht alle wirklich zielführend. Ich finde es aber auch nicht nötig, nicht einmal sinnvoll, hier Perfektion zu erwarten und einzuklagen. Kunst ist eine menschliche Fähigkeit und darf, ja muss auch ‚Fehler‘ machen – dürfen. Aus ‚Fehlern‘ lernen wir. Perfektion lässt uns letztlich kalt. Was mich ganz und gar nicht kalt lässt, ist die klar zu große Bereitschaft der moralischen Rechthaber*innen, gleich drauf los zu prügeln. Ich habe auf Twitter so viele hasserfüllte Kommentare gelesen, dass ich es nach kurzer Zeit nicht mehr ausgehalten habe. Eine Diskussion kann ich das nicht nennen. Davon kann ich mich nur abwenden und mich hier in meine Quasi-Privatsphäre zurückziehen. Wohl wissend, dass hier gerade das Private politisch ist.

Und ganz privat solidarisiere ich mich mit den Schauspieler*innen von #allesdichtmachen und hoffe sehr mit ihnen und für sie, dass sie die heftige Belastung dieses Shitstorms ertragen und keine bleibenden Schäden davontragen!

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Stephanie Jaeckel

    Ehrlich gesagt, ich habe diese Geschichte, wie auch viele andere Diskussionen zu Corona nicht (mehr) verfolgt. Ich gehöre zu den Freiberuflerinnen, die sich sputen müssen, ihre Miete jeden Monat zu verdienen, im Kulturbereich ist viel lahmgelegt zur Zeit. Will sagen, ich bin so müde geworden, dass ich das aktuelle Geschehen schon nicht mehr mitkriege. Ich habe keine Lust mehr auf Kontroversen, Meinungen, besser oder schlechter Wissen. Und ich bin verblüfft, dass das so ist. Fühlt sich sehr resigniert an. Mir scheint bei der ganzen Sache, es gibt keine wirklichen Schnittstellen mehr zwischen den Agierenden und den Betroffenen. Und gerade in Deutschland schiebt sich eine veraltete Bürokratie zwischen alle konkreten und oft eben auch unbürokratischen Schritte. Will sagen, ich habe Deinen Text mit Gewinn gelesen, weiß aber nach wie vor nicht so recht…

    1. Ra.Lph

      Danke dir sehr für deine Antwort, Stephanie!
      Müdigkeit, Resignation und diese lähmende Perspektivlosigkeit sind Symptome, die sich angesichts der nun schon so lange währenden Pandemie-Situation wohl nur schwer vermeiden lassen. Ich passe mich an und mache, wo es geht, das Beste draus. Ich gebe mir Mühe mich auf dem Laufenden zu halten, habe beim Nachrichtenkonsum aber regelmäßig meine Krisen, wenn Corona offenbar wieder mal alles andere erdrückt. Und wenn die Corona-News außer aktualisierten Zahlen und neuen Worterfindungen nichts substantiell Neues bringen.
      Du schreibst von den Schnittstellen zwischen Agierenden und Betroffenen – was meinst du damit? Wer agiert, wer ist betroffen – und… ?

  2. Ra.Lph

    Mit jedem Tag, der neue schwer zu verkraftende Enthüllungen bringt, wie zB, dass Volker Bruch als einer der Initiatoren von #allesdichtmachen der „Partei“ der Querdenker beigetreten sei, frage ich mich aufs Neue, ob ich meinen Artikel hier stehen lassen soll, ob ich mich klarer gegen Rechts, gegen Quer, gegen Aluhutträger aller Art abgrenzen muss –
    oder ob das alles nicht nur Folge maßloser Selbstüberschätzung ist, da die Äußerungen hier doch im Grund „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ stattfinden (wie auf streifzug.me so schön formuliert – danke dafür!) …

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